Ja, wieso muss ein Bild noch bearbeitet werden? Die Kameras sind doch so gut heute, da kommen doch nur tolle Bilder heraus.
Stimmt, fast!
Mit der digitalen Fotografie wurden die Kameras mit Software ausgestattet. Diese Software bestimmt nun, wie mit dem Licht umgegangen wird, das durch das Objektiv auf den Sensor trifft. So gut die Software auch sein mag, sie wird nie wissen können, was ich als Fotograf zeigen möchte und vor allem, wie ich es zeigen möchte. Ergo, wer nichts an seinen Bildern ändert, erhält ein Ergebnis, das die Software bestimmt. Ob dies dem entspricht, was er sich beim Fotografieren des Motivs vorgestellt hat, muss jeder für sich selbst entscheiden. Zu Zeiten von Film und Fotolabor war dies auch so – der Laborant war verantwortlich für das Ergebnis. Im professionellen Bereich bildeten Fotograf und Laborant ein eingespieltes Team.
Als Fotoassistent durfte ich schon mal die belichteten Filme einer Mode-Produktion mal eben von Barcelona nach Zürich überbringen – und am selben Tag wieder zurück fliegen.
Neben einem Willen (was will ich wie zeigen), – gehört auch viel Können und Zeit dazu.
Und dies möchte ich in der Serie – Bildbearbeitung – darstellen und transparent machen. Dabei beziehe ich mich auf Bilder, die ich im Rahmen meiner Projekte speziell im landwirtschaftlichen Bereich und der Naturfotografie im Allgemeinen realisiert habe.
Der erste Teil ist überschrieben mit: Wieso muss ein Bild bearbeitet werden?
Hinter jedem guten Foto steckt eine Idee.
Die Fotografin sah eine Situation, eine Ansicht einer Landschaft oder Stadt, einen Menschen, ein Tier, eine Pflanze, und dieser Blick auf etwas löste in ihr etwas aus. Dieses Empfinden möchte sie in einem Foto wiedergeben.
Für mich ist ein gutes Foto der Einstieg zu einer spannenden Geschichte, wie die erste Seite eines packenden Romans. An den Vergleichen kann man erkennen, dies kann weder eine Profi-Fotokamera noch eine tolle Automatik leisten. Dazu gehört ein lebendiger, fühlender Mensch, der weiß was er will, und der Technik sagt, wo es langgeht.
Ich möchte ein Beispiel anführen, in dem die Zusammenhänge deutlich werden. Das Startbild auf dieser Webseite – das Kalb hinter den Gräsern – entstand auf einer Weide, die der Hofgemeinschaft Vorderhaslach gehört. Ich war alleine auf der Weide mit gut zwei Dutzend Rindern, Kälbern und ihren hornbewehrten Müttern sowie einem Stier. Es ist das eine, in einem Kuhstall zu gehen, in dem die Rinder hinter massiven Fressgittern sicher verwahrt sind, und etwas ganz anderes, allein mit Mutterkühen und ihren Kälbern auf einer Weide zu stehen.
Für mich war es ein intensives Erlebnis. Und dieses Gefühl dabei, zum einen den Tieren so nahe und direkt gegenüber zu stehen und zum anderen auch das etwas mulmige Gefühl im Magen, wollte ich in einem Foto darstellen.
Aber dies wusste weder die Kamera noch der Ingenieur, der die Software programmiert hat, die meine Kamera steuert. Daher nahm die Kamera ein Bild auf, das korrekt belichtet und scharf ist, aber bei weitem nicht das Gefühl vermitteln konnte, welches ich bei der Aufnahme hatte.
An dieser Stelle setzt die Bildbearbeitung ein. Wer glaubt, dies gäbe es erst seit der digitalen Fotografie, der irrt. Im Labor konnte und kann man (fast) alles machen, was jetzt mit einer Bildbearbeitungs-Software auch geht. Gut, es war weitaus aufwendiger als heute, aber im Prinzip waren die grundsätzlichen Techniken der Nachbearbeitung möglich.
Hier nun das Foto, wie es die Kamera aufgenommen hat.
Der Weißabgleich ist viel zu kühl, der Kopf des Tieres zu dunkel, die Augen matt.
Kurz gesagt, es war mir zu fade und hat nicht das wiedergegeben, was ich gesehen und gefühlt habe.
An dieser Stelle möchte ich noch einen Vergleich anführen. Ein Foto, das aus der Kamera kommt, ist wie eine Partitur eines Musikstückes. Es stehen alle Noten darauf, die notwendig sind, damit später eine Klangfolge ertönt, aber geschriebene Noten sind eben noch kein Konzert. Wie eine Partitur einer Interpretation durch einen Musiker bedarf, so braucht auch eine Fotodatei eine Interpretation durch den Fotografen.
Merke: Laborarbeit/Bildbearbeitung ist eine notwendige Interpretation, um von einer Bilddatei zu einem Foto zu gelangen.
Wie geht es nun mit dem Foto unseres Kalbes weiter? Zuerst einmal habe ich für das ganze Bild den Weißabgleich und den Kontrast korrigiert. Dazu habe ich die Farbtemperatur verringert und den Kontrast verstärkt.
Dann habe ich partiell den Kopf aufgehellt und den Kontrast angehoben. Dasselbe habe ich nochmals für das Auge gemacht und die gelben Ohrmarken abgeschwächt, indem ich die Farbe zurückgenommen und sie dunkler gemacht habe.
Und hier die beiden Varianten nebeneinander und in einer 100% Ansicht.
Und nun hatte ich das Bild, dass sich mit dem Gefühl deckte, das ich hatte, als ich dem Kalb gegenüberstand, umgeben von seiner Mutter und den Tanten, die mich alle sehr aufmerksam beobachteten – zu diesem Zeitpunkt, wusste ich noch nicht, dass auch ein Stier mit auf der Weide war.
Ich freue mich auf Anregungen.
Ihr Landfotograf Eberhard J. Schorr